Şükran, Du hast ja über viele Jahre als Pflegekraft gearbeitet. Kannst du uns sagen, wie lange genau und in welchem Bereich du tätig warst?
Ich habe 1984 mit meiner Ausbildung angefangen und danach viele Jahre als Dauernachtwache im Krankenhaus gearbeitet. Das war eine sehr intensive Zeit, in der ich viele Erfahrungen gesammelt habe.
Wie kam es eigentlich dazu, dass du dich für die Pflege entschieden hast? Was hat dich damals motiviert?
Ich wollte schon immer im medizinischen Bereich arbeiten und am liebsten Medizin studieren. Aber durch familiäre Umstände musste ich kürzertreten und habe mich dann für eine Pflegeausbildung entschieden – in der Hoffnung, später vielleicht doch noch zu studieren. Menschen zu helfen, lag mir schon immer am Herzen. Deshalb war die Pflege für mich eine sinnvolle und erfüllende Alternative, um kranke Menschen zu unterstützen und trotzdem nah am medizinischen Bereich zu bleiben.
Du hast deine Ausbildung zur Pflegekraft in Deutschland gemacht. Wie hast du den Unterschied zwischen der Ausbildung hier und in der Türkei erlebt?
Die Ausbildung in der Türkei ist eher akademisch aufgebaut. Dort studiert man vier Jahre lang nach einem System, das dem amerikanischen ähnelt. Der Fokus liegt stark auf dem medizinischen Bereich. Pflegekräfte in der Türkei übernehmen hauptsächlich medizinische Aufgaben wie Infusionen legen, Spritzen geben oder Verbände wechseln. Die pflegerische Versorgung – also zum Beispiel Körperpflege oder Hilfe beim Essen – wird dort in der Regel von Angehörigen übernommen.
In Deutschland ist das ganz anders: Hier übernimmt eine Pflegekraft beides, sowohl medizinische als auch pflegerische Aufgaben. Das macht die Arbeit oft anstrengender, weil man sich um alles kümmern muss.
Erst seit ein paar Jahren gibt es in der Türkei speziell ausgebildete Pflegekräfte für den pflegerischen Bereich, aber das ist noch recht neu und oft nur eine Notlösung, wenn keine Angehörigen da sind. Generell ist in der Türkei noch viel mehr die Familie für die Pflege verantwortlich.
Hast du den Eindruck, dass Pflegekräfte in der Türkei medizinisch umfassender geschult werden als bei uns in Deutschland?
Nein, ich würde nicht sagen, dass Pflegekräfte in der Türkei medizinisch besser ausgebildet sind. In Deutschland lernen wir genauso viel. Früher haben wir sogar deutlich mehr medizinische Aufgaben übernommen als heute. Aber mit der Zeit hat sich unser Beruf hier verändert. Heute bleibt kaum noch Zeit für medizinische Tätigkeiten, weil der Fokus immer stärker auf der pflegerischen Versorgung liegt. Wir haben unseren eigentlichen Berufsanteil nach und nach abgegeben. Für mich fühlt sich der Beruf in Deutschland deshalb nicht mehr wie der einer Krankenschwester an. Es geht fast nur noch ums Pflegen.
Die Pflege hat sich in Deutschland ja in den vergangenen Jahren stark verändert. Was glaubst du, wie es dazu kam?
Ich glaube, wir Pflegekräfte tragen selbst einen Teil der Verantwortung dafür, dass sich unser Beruf so verändert hat. Wir haben vieles einfach übernommen, ohne uns zu wehren – aus Gutmütigkeit, weil wir helfen wollten. So kam immer mehr dazu, bis wir am Ende fast alles machen mussten: medizinisch und pflegerisch. Das hat sich mit der Zeit angesammelt, und irgendwann war es einfach zu viel. Man schafft das nicht mehr, man geht kaputt daran.
Die Krankenhäuser in Deutschland fühlen sich heute manchmal mehr wie Hotels an, mit immer mehr Patienten und immer weniger Zeit für echte Pflege.
Du hast es schon kurz angesprochen. Wie läuft ein typischer Arbeitstag für Pflegekräfte in der Türkei eigentlich ab?
Der Arbeitsalltag in der Türkei ist ganz anders strukturiert als in Deutschland. Morgens gehen die Pflegekräfte zwar auch über die Station, aber sie kümmern sich vor allem um medizinische Aufgaben wie Infusionen, Spritzen oder Medikamentengabe. Blutabnahmen zum Beispiel werden meistens vom Laborpersonal übernommen, nur im Notfall nehmen Pflegekräfte das selbst ab.
Pflege im klassischen Sinne – also Waschen, Windeln wechseln oder Betten machen – gehört dort nicht zu den Aufgaben der Krankenschwestern. Das übernehmen entweder Angehörige oder speziell dafür eingestellte Pflegepersonen. In Deutschland hingegen macht eine Pflegekraft alles – medizinisch und pflegerisch –, was die Arbeit deutlich umfassender und oft auch belastender macht.
Gibt es in türkischen Krankenhäusern auch ein ähnliches Schichtsystem wie in Deutschland, also Früh-, Spät- und Nachtdienste?
Ja, es gibt in der Türkei ein ähnliches Schichtsystem wie in Deutschland – mit Früh-, Spät- und Nachtdiensten. Zusätzlich gibt es aber auch 24-Stunden-Dienste, was in Deutschland so eigentlich nicht erlaubt ist. Während dieser langen Dienste dürfen die Pflegekräfte allerdings schlafen, wenn es die Situation erlaubt. Trotzdem ist das natürlich eine große Belastung, besonders wenn viel zu tun ist.
Und wie sieht’s personell aus: Wie viele Pflegekräfte sind in einer Schicht im Einsatz – und wie groß ist so eine Station eigentlich?
In einer Schicht arbeiten in der Türkei meist weniger Pflegekräfte als in Deutschland – ungefähr fünf pro Station. Das klingt vielleicht nach viel, aber die Stationen sind dort deutlich größer. In neuen Krankenhäusern gibt es oft 40 bis 45 Zimmer auf einer Station, in der Regel Einzel- oder Zweibettzimmer.
Vierbettzimmer wie in Deutschland gibt es kaum noch, die wurden mit den alten Gebäuden abgeschafft. Viele Krankenhäuser sind inzwischen riesig. In großen Städten gibt es manchmal nur ein einziges, sehr großes, zentrales Krankenhaus.
Wenn man ein Einzelzimmer möchte, muss man das extra bezahlen. So war es auch bei meiner Mutter damals. Es gibt mittlerweile zwar Zusatzversicherungen, die solche Kosten übernehmen können, aber generell muss man in der Türkei für viele Dinge im Krankenhaus zusätzlich zahlen.
Welche Leistungen müssen Patientinnen und Patienten in der Türkei zusätzlich aus eigener Tasche zahlen, also über die reguläre Versorgung hinaus?
In der Türkei muss man oft selbst jemanden organisieren und bezahlen, der sich um den Patienten kümmert – sei es ein Familienmitglied oder eine angestellte Betreuungsperson. Krankenschwestern übernehmen nur das Nötigste, wie medizinische Maßnahmen, oder kommen, wenn man klingelt. Alles Weitere – wie Waschen, Essen reichen oder ständige Anwesenheit – liegt meistens in der Verantwortung der Angehörigen oder muss privat bezahlt werden.
Die Familie scheint in der türkischen Pflegekultur eine große Rolle zu spielen. Wie erlebst du das im Vergleich zu Deutschland?
In der Türkei spielt die Familie eine sehr große Rolle, wenn es um die Pflege älterer oder kranker Menschen geht – ganz anders als in Deutschland. Wenn jemand pflegebedürftig wird, muss sich ein Familienmitglied kümmern. Oft zieht die betroffene Person dann zum ältesten oder jüngsten Kind, je nachdem, wie es in der Familie geregelt ist.
Auch im Krankenhaus ist es üblich, dass die Angehörigen sich um alles kümmern. Sie wechseln sich ab, bleiben über Nacht oder übernehmen die Grundpflege. Bei uns war das auch so: Als meine Mutter krank war, haben wir uns in der Familie organisiert. Wir haben uns abgewechselt, damit es nicht zu viel für eine Person wurde.
Meist übernehmen Frauen die Pflege, egal ob sie Männer oder Frauen versorgen. Nur wenn niemand verfügbar ist oder bestimmte Aufgaben unangenehm sind, übernimmt das Pflegepersonal oder man bezahlt extra eine Hilfsperson. Es ist anstrengend, weil vieles auf der Familie lastet. In Deutschland ist das anders: Dort übernimmt das Pflegepersonal alles und die Familie kommt nur zu Besuch.
Woran liegt es deiner Meinung nach, dass sich Angehörige in der Türkei so selbstverständlich um Pflegebedürftige kümmern?
In der Türkei übernehmen die Angehörigen so viel Pflege, weil es einfach zu wenige Krankenschwestern gibt. Das System, wie wir es aus Deutschland kennen, mit professioneller Pflege zu Hause oder im Krankenhaus, existiert dort so nicht. Viele Familien würden sich das wünschen, weil es sehr anstrengend ist, alles selbst zu machen. Aber bisher bleibt die Verantwortung bei den Angehörigen.
Ich denke, das wird sich mit der Zeit ändern. Es tut sich langsam etwas. Aber bis dahin bleibt die Pflege hauptsächlich Familiensache – aus Mangel an Alternativen, nicht unbedingt, weil es immer so gewollt ist.
Wie sieht es mit Pflegeheimen oder ambulanten Pflegediensten in der Türkei aus? Sind solche Einrichtungen in der Türkei verbreitet?
Ambulante Pflegedienste, wie man sie aus Deutschland kennt, gibt es in der Türkei nicht. Wenn jemand gepflegt oder medizinisch versorgt werden muss, übernehmen das in der Regel die Angehörigen. Es kommt niemand nach Hause, um zu helfen. Die Patienten müssen ins Krankenhaus gebracht werden, oft sogar für einfache Behandlungen. Alles, was über die Grundpflege hinausgeht, liegt also in der Verantwortung der Familie.
Was sich in den letzten zehn Jahren verändert hat, ist die Entwicklung von Senioren- und Pflegeheimen. Früher war das kaum denkbar. Ältere Menschen wurden grundsätzlich in der Familie gepflegt. Aber inzwischen, besonders weil viele Familienmitglieder berufstätig sind, entstehen immer mehr Heime, auch in kleineren Städten. Es ist mittlerweile gesellschaftlich akzeptierter, dass man Angehörige in professionelle Einrichtungen gibt, wenn man es allein nicht schafft.
Statt Hausärzten wie in Deutschland gibt es in der Türkei sogenannte Familienärzte. Jeder Stadtteil hat ein Gesundheitszentrum, dem ein oder zwei Ärzte zugewiesen sind. Menschen dürfen nur dort behandelt werden, wenn sie in dem jeweiligen Gebiet wohnen. Die Ärzte kümmern sich um die Grundversorgung, aber bei ernsteren Beschwerden wird man ins Krankenhaus überwiesen – und viele gehen ohnehin direkt dorthin.
Früher gab es private Arztpraxen, zu denen man auch direkt gehen konnte. Das ist heute nicht mehr erlaubt. Alle Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich sind Teil des staatlichen Gesundheitssystems und werden vom Gesundheitsministerium regional zugewiesen. Das führt dazu, dass die Krankenhäuser in der Türkei sehr voll sind, weil viele Menschen bei Beschwerden direkt dorthin gehen – auch für Dinge, mit denen man in Deutschland eher in eine Hausarztpraxis gehen würde.
Wie wird der Pflegeberuf in der Türkei denn gesellschaftlich wahrgenommen – vor allem im Vergleich zu Ärztinnen und Ärzten?
In der Türkei ist der Pflegeberuf gesellschaftlich viel angesehener als in Deutschland. Wenn man dort sagt, man ist Krankenschwester oder Ärztin, reagieren die Leute mit Respekt und Wertschätzung. Beide Berufe genießen ein hohes Ansehen. Das ist wirklich spürbar anders als hier in Deutschland, wo der Pflegeberuf in den letzten Jahrzehnten stark an gesellschaftlichem Status verloren hat. Früher war das auch hier anders, aber heute fühlt man sich oft nicht mehr richtig anerkannt.
Trotz des hohen Ansehens werden Pflegekräfte und auch Ärzt:innen in der Türkei deutlich schlechter bezahlt als in Deutschland. Und die Belastung ist hoch: Pflegekräfte müssen unglaublich viel leisten: Infusionen legen, Blutdruck und Blutzucker messen, Medikamente geben und gleichzeitig die Pflege übernehmen.
In Deutschland hat sich zusätzlich noch die Berufsbezeichnung geändert, von Krankenschwester zu Pflegekraft oder Gesundheits- und Krankenpfleger. Für mich fühlt sich das wie ein Abwerten unseres Berufs an. Der Name allein spiegelt schon wider, wie sehr sich die Wahrnehmung verändert hat. Leider nicht zum Positiven.
Du hast vorhin die alte Berufsbezeichnung „Krankenschwester“ verwendet. Warum fandest du die besser als den Begriff „Pflegekraft“?
Ja, ich fand „Krankenschwester“ besser. In dem Wort steckt schon drin, was wir machen. Wir kümmern uns um kranke Menschen. Das war klar und hat den Beruf gut beschrieben.
„Pflegekraft“ oder auch „Gesundheits- und Krankenpfleger“ klingen für mich zu allgemein und irgendwie kalt. Seit die Berufsbezeichnung das Wort „Pflege“ trägt, hat sich auch der Beruf verändert – weg vom medizinischen, hin zu immer mehr pflegerischen Aufgaben. Früher habe ich viel mehr medizinisch gearbeitet, heute steht die Grundpflege im Vordergrund. Diese Entwicklung gefällt mir nicht. Der neue Begriff spiegelt das für mich negativ wider.
Gibt es in der Türkei ähnliche Herausforderungen wie in Deutschland, zum Beispiel Personalmangel oder fehlende Anerkennung?
Ja, Pflegekräfte in der Türkei haben inzwischen mit ganz ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen wie in Deutschland. Auch dort gibt es immer weniger Personal, während der Bedarf an Pflege immer größer wird. Viele Menschen gehen direkt ins Krankenhaus, weil es kaum niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gibt. Das führt zu überfüllten Stationen, langen Wartezeiten und großem Stress für das Personal.
Zwar ist die gesellschaftliche Anerkennung für Pflegekräfte in der Türkei grundsätzlich höher als in Deutschland, aber auch dort steigt der Druck. Die Erwartungen der Patientinnen und Patienten sind hoch, und die Familien sind oft überfordert, weil sie selbst so viel übernehmen müssen. Dieser Stress überträgt sich auf die Pflegekräfte. Sie müssen mehr leisten, oft unter schwierigen Bedingungen.
Und unter Stress passieren eben auch mehr Fehler. Wenn man mehr Zeit hätte und mit weniger Druck arbeiten könnte, wäre die Pflege auch menschlicher, mit mehr Aufmerksamkeit, Nähe und einem Lächeln. Das geht aber im Moment oft unter. Ich finde, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland müsste sich im Gesundheitssystem einiges ändern, damit Pflegekräfte besser arbeiten können und nicht daran kaputtgehen.
Wenn du an das türkische Gesundheitssystem denkst: Was müsste sich deiner Meinung nach dringend verändern oder verbessern?
Im türkischen Gesundheitssystem müsste sich einiges ändern. Zum Beispiel müssen Pflegekräfte nach dem Studium eine zusätzliche staatliche Prüfung bestehen, um in einem öffentlichen Krankenhaus arbeiten zu dürfen. Wer diese Prüfung schafft, wird danach zwangsweise irgendwo in der Türkei eingesetzt. Oft weit weg von der Heimat. Man kann sich also nicht aussuchen, wo man lebt und arbeitet. Das ist eine große Belastung für viele, gerade junge Menschen, die frisch in den Beruf einsteigen. Ich finde, das müsste abgeschafft werden. Man hat ja schließlich schon ein komplettes Studium gemacht.
Außerdem ist die Bezahlung im Gesundheitswesen in der Türkei sehr niedrig – sowohl für Pflegekräfte als auch für Ärztinnen und Ärzte. Viele wandern deshalb ins Ausland ab. Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten in der Türkei stark an, was den Beruf noch unattraktiver macht.
Auch politisch hat sich die Lage verschlechtert. Seit einigen Jahren ist vieles im Gesundheitssystem durcheinander: ständige Änderungen, unklare Zuständigkeiten, wenig Planung. Das erzeugt Unsicherheit. Viele Menschen im Gesundheitswesen fühlen sich allein gelassen. Ich glaube, wenn sich da nichts ändert, wird sich der Personalmangel weiter verschärfen.
Anmerkung: Wenn Şükran von Zwangsversetzungen nach dem Studium spricht, meint sie den sogenannten Doğu Hizmeti (Ostdienstpflicht). Wer als Pflegekraft im öffentlichen Dienst arbeiten möchte, muss zunächst eine zentrale, staatliche Prüfung (KPSS) bestehen. Danach wird man nicht frei eingesetzt, sondern über ein Zuweisungssystem an ein staatliches Krankenhaus vermittelt – oft in strukturschwache oder abgelegene Regionen, meist im Osten oder Südosten der Türkei.
Dieser Pflichtdienst dauert je nach Region zwischen zwei und sechs Jahren und soll sicherstellen, dass auch entlegene Gebiete medizinisch versorgt werden. Im privaten Sektor gibt es diese Verpflichtung nicht, allerdings ist die Bezahlung dort oft schlechter.
Und zum Schluss: Was könnte Deutschland vielleicht von der türkischen Pflegekultur lernen?
In Deutschland könnten sich die Familien ein Beispiel an der türkischen Pflegekultur nehmen – gerade was die emotionale und zwischenmenschliche Unterstützung angeht. In der Türkei ist es selbstverständlich, dass Familie, Freunde und Nachbarn sich kümmern, nachfragen, helfen. Diese Herzlichkeit fehlt mir oft in Deutschland. Es ist traurig, wenn jemand wochenlang im Krankenhaus liegt und niemand kommt vorbei. In der Türkei wäre das unvorstellbar. Da geht es nicht nur um Pflege, sondern auch um Menschlichkeit.
Du willst mehr Wertschätzung in der Pflege?
Bei Care Rockets finden nicht nur Pflegekräfte Jobs – hier bewerben sich die Arbeitgeber bei dir. Erstelle jetzt kostenlos dein Profil und finde genau den Job, der zu dir passt.
Jetzt anmelden bei Care Rockets