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Pflege der Zukunft? So funktioniert das stambulante Modell

Pflege zu Hause oder doch ins Heim? Viele Familien stehen genau zwischen diesen Optionen – und beide fühlen sich oft nicht richtig an. Genau hier setzt „stambulant“ an: eine neue Mischform, die die Vorteile von stationärer und ambulanter Pflege verbindet. Doch wie sieht das Modell in der Praxis wirklich aus?

 

In diesem Beitrag geben wir einen fundierten Überblick zur stambulanter Pflege, basierend auf aktuellen Entwicklungen, Beispielen und Experteninterviews.

Stambulant erklärt: Neues Pflegekonzept mit Potenzial
23:15

Inhaltsverzeichnis

    Stambulant: Definition der neuen Pflegeform zwischen ambulant und stationär

    Stambulante Pflege verbindet das Beste aus zwei Welten: Sie schließt die Versorgungslücke zwischen ambulanter Betreuung zu Hause und vollstationärem Pflegeheim.

    Was bedeutet „stambulant“?

    „Stambulant“ ist ein Kunstwort aus „stationär“ und „ambulant“. Es beschreibt eine neue Pflegeform, die Elemente beider Pflegearten kombiniert. Pflegebedürftige wohnen nicht mehr allein zu Hause, aber auch nicht im klassischen Heim. 

    Stattdessen leben sie in kleinen, gemeinschaftlich organisierten Wohneinheiten mit professioneller 24-Stunden-Betreuung. Dort können Sie auch bei hohem Pflegebedarf wohnen. Die Leistungen werden ambulant abgerechnet.

    Ziel ist es, mehr Selbstbestimmung, bessere Lebensqualität und eine passgenaue Versorgung als in herkömmlichen Pflegeheimen zu ermöglichen.

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    Ursprung & politische Einführung durch Lauterbach

    Erstmals bundesweit in die Diskussion gebracht wurde das Konzept im Jahr 2024 durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (zeit.de). Er bezeichnete die stambulante Pflege als Lösung für die Versorgungslücke zwischen häuslicher und vollstationärer Pflege. 

    Entwickelt wurde das Konzept aber schon 2016 von der BeneVit-Gruppe in Baden-Württemberg, zusammen mit der AOK und dem Sozialministerium. Dort wurde es im Haus Rheinaue in Wyhl  als “Mitmach-Pflegeheim“ erstmals praktisch umgesetzt. Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet und aufgrund seines Erfolges immer wieder verlängert (altenheim.de).

    Abgrenzung zur stationären und ambulanten Pflege

    Merkmal

    Ambulante Pflege (zu Hause)

    Stationäre Pflege (Pflegeheim)

    „Stambulante“ Pflege (Mischform)

    Wohnort

    Eigene Häuslichkeit 

    Vollstationäre Einrichtung 

    Pflege-WG / Hausgemeinschaft

    Betreuung

    Pflegedienst kommt nur zu vereinbarten Zeiten

    24-Stunden-Betreuung durchgehend im Haus

    24-Stunden-Präsenz von Pflegekräften vor Ort, jedoch WG-Charakter

    Alltag & Gemeinschaft

    soziale Teilhabe abhängig von Familie oder Tagespflege

    Alltag strukturiert durch Heimbetrieb

    Alltag in kleiner Gemeinschaft

    Rolle der Angehörigen

    Zentrale Rolle: Angehörige übernehmen oft einen Großteil der Pflege und Organisation

    Angehörige hauptsächlich in Besucherrolle, professionelle Kräfte übernehmen die Versorgung

    Angehörige können freiwillig mitwirken (Mitmach-Prinzip) und so zur Entlastung beitragen

    Finanzierung

    Pflegeversicherung zahlt ambulante Leistungen bis zu Höchstbeträgen, Pflegebedürftige tragen restliche Kosten und Unterkunft

    Pflegeversicherung zahlt festen Zuschuss; Bewohner zahlt Eigenanteil für Pflege + Unterkunft/ Verpflegung pauschal 

    Modulare Abrechnung (über Pflege- und Krankenversicherung); Bewohner:in zahlt nur für tatsächlich genutzte Leistungen + Unterkunft.

    Wie funktioniert stambulante Pflege in der Praxis?

    Bei stambulanten Modell greifen ambulante und stationäre Elemente ineinander. Einerseits leben die Pflegebedürftigen in einer wohnlichen Umgebung mit individueller Lebensführung, andererseits gibt es feste Strukturen, professionelles Personal vor Ort und die Sicherheit einer durchgehenden Betreuung.

    Aufbau: Pflege-WG mit 24h-Präsenz

    Ein stambulantes Setting ähnelt damit optisch und organisatorisch eher einer betreuten Wohngruppe als einem klassischen Pflegeheim. 

    In der Praxis besteht eine stambulante Einrichtung meist aus mehreren kleinen Hausgemeinschaften mit je 10 bis 15 Bewohner:innen. Ein festes Team aus Pflegefachkräften, Betreuungskräften und Hauswirtschaftskräften betreut die Pflegebedürftigen rund um die Uhr. Bei Bedarf werden sie von ambulanten Kräften unterstützt. 

    Die Architektur erinnert an normale Wohnungen: Wohnzimmer, Küche, Gemeinschaftsräume. Anders als im Pflegeheim gibt es keine langen Flure oder anonyme Aufenthaltsräume, sondern ein familiäres Umfeld. Die Bewohner:innen leben wie in einer gemeinsamen Wohnung statt in einem klassischen Heimtrakt.

    Alltagsgestaltung und Aktivierung der Pflegebedürftigen

    Der Alltag wird gemeinsam gestaltet. Die Bewohnerinnen und Bewohner einer stambulanten Einrichtung führen – ihren Möglichkeiten entsprechend – einen normalen Alltag: Sie kochen zusammen, helfen beim Wäschewaschen, arbeiten im Garten oder decken den Tisch.

    Dieses „Mitmachen“ fördert das Gemeinschaftsgefühl und erhält Fähigkeiten. Seniorinnen und Senioren fühlen sich wieder gebraucht, weil sie aktiv im Haushalt mitwirken können. Gleichzeitig erfahren sie mehr Selbstständigkeit und Sinn im Alltag, was sich positiv auf ihr Wohlbefinden auswirkt.

    Älterer Mann und ältere Frau beim gemeinsamen Kochen mit einer Pflegekraft

    Einbindung der Angehörigen

    Ein wichtiger Bestandteil des stambulanten Modells ist die Einbindung der Angehörigen. Anders als im klassischen Pflegeheim, wo Angehörige häufig nur Besucher:innen sind, können Familienmitglieder in stambulanten Settings aktiv mithelfen. Sie können z. B. beim Wäschewaschen oder das Zimmer reinigen und so die Betreuungskosten senken. Die Mitarbeit der Familie ist allerdings keine Pflicht, sondern eine Option.

    Hieraus ergibt sich ein individuelles Betreuungspaket mit buchbaren Optionen. Anders als in klassischen Senioreneinrichtungen können die Betreuungskosten hierdurch deutlich gesenkt und Pflegepersonen entlastet werden (benevit.net).

    Viele Angehörige empfinden es als Erleichterung, dass sie im stambulanten Modell weiterhin teilhaben können.

    Finanzierung

    Im stambulanten Konzept wird die Finanzierung im Grunde ambulant gehandhabt. Das bedeutet: Die Pflegebedürftigen schließen individuelle Verträge über Pflege- und Betreuungsleistungen, anstatt ein pauschales Heimentgelt zu zahlen. 

    Die Abrechnung erfolgt nach ambulanten Pflegesätzen. Zugleich tragen die Bewohner:innen die Unterkunfts- und Verpflegungskosten separat.

    Für die Pflegebedürftigen bedeutet dies finanziell, dass sie ihre Ansprüche aus der Pflegeversicherung voll einsetzen können. Die Krankenversicherung übernimmt ärztlich verordnete Behandlungspflege (z. B. Wundversorgung, Medikamentengabe) über die häusliche Krankenpflege. 

    Durch diese Aufsplittung der Kosten tragen die Pflegebedürftigen im Idealfall weniger eigene Last als im Heim, wo ein einheitlicher Eigenanteil für Pflege anfällt.

    Allerdings erfordert das Modell auch, dass Bewohner:innen und/oder ihre Betreuer:innen sich mit mehreren Kostenträgern auseinandersetzen müssen, was die Abrechnung komplexer macht (vdk.de).

    Rechtliche Rahmenbedingungen

    Aktuell kennt das Bundesrecht keine Kategorie „stambulant“. Anbieter bewegen sich daher in einem Graubereich zwischen Heimrecht und ambulantem Pflegedienst

    Die Einrichtungen benötigen meist eine Heimerlaubnis nach Landesrecht (weil sie Leute stationär unterbringen), müssen aber gleichzeitig als ambulante Dienste zugelassen sein, um Leistungen mit den Kassen abrechnen zu dürfen.

    Sobald der Bund die stambulante Pflege anerkennt, wird es voraussichtlich eigene Zulassungskriterien geben. Vermutlich werden Qualitätsvorgaben definiert, etwa zur Fachkraftquote, zur maximalen Bewohnerzahl pro Einheit etc.

    Für die Pflegeversicherung (SGB XI) stellt sich die Frage, wie die Finanzierung genau gestaltet wird. Denkbar ist, dass man das System der ambulanten Pflegesachleistungen anwendet, eventuell mit bestimmten Zuschlägen, um die Vorhaltung der 24h-Betreuung mitzufinanzieren. Oder aber man führt neue Leistungsarten ein.

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    Ambulante Wohngemeinschaft vs. Stambulant: Zwei Modelle, ein Ziel

    Der Kernunterschied zwischen stambulant und ambulant liegt im Rechtsrahmen, der Versorgungstiefe und der Organisation

    Somit ist Stambulant kein Ausbau ambulant betreuter WGs, sondern ein eigenständiges Konzept mit klaren Zuständigkeiten und höherer Versorgungssicherheit.

    Was sind ambulante Wohngemeinschaften?

    Ambulant betreute Wohngemeinschaften, wie sie von Humanika betrieben werden, gelten als Vorreiter für alternative Pflegeformen. Sie ermöglichen pflegebedürftigen Menschen – insbesondere mit Demenz – ein möglichst selbstbestimmtes Leben in einem familiären Umfeld.

    Die Bewohner:innen mieten ihre Zimmer selbst, ein ambulanter Pflegedienst übernimmt die Versorgung, Angehörige gestalten den Alltag aktiv mit.

    Svetoslav Markov, Geschäftsführer der Humanika-Unternehmensgruppe, beschreibt im Care Rockets-Podcast mit Silvan Schroeren das Prinzip seiner Wohngemeinschaften so:

    Das klassische Modell der WG ist modular aufgebaut. Das heißt, man schaut, wo der Bedarf ist, und strukturiert die Leistungen entsprechend, anders als im Pflegeheim, wo alles pauschal aus einer Hand kommt.“
    (Podcastminute 20:10)

    Bei uns haben Angehörige ein Mitwirkungsrecht und auch eine gewisse Pflicht. Das ist kein Prinzip ‚Tür zu und auf Wiedersehen.“
    (Podcastminute 23:30)

     

    Care Rockets-Podcast mit Svetoslav Markov (Humanika)

     

    Stambulant geht einen Schritt weiter

    Stambulante Pflege baut auf dem Modell der Pflege-WGs auf, erweitert es aber um 24-Stunden-Präsenz von Pflegekräften, klare Trägerverantwortung und eine gesetzlich geregelte Finanzierung (§ 45j SGB XI). 

    Anders als bei ambulanten WGs liegt die Verantwortung nicht bei Bewohner:innen oder Angehörigen, sondern beim Träger – vergleichbar mit stationärer Pflege, jedoch in wohnlicher Umgebung. 

    Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Wahlfreiheit bei Dienstleistern entfällt im stambulanten Modell entfällt. Auch das das Mitspracherecht der Angehörigen ist eingeschränkt. Der höhere Organisationsgrad des Trägers reduziert die Selbstbestimmung der Bewohner.

    Diese enge Verzahnung mit einem spezifischen Träger wirft allerdings auch die Frage auf, inwiefern eine Unterscheidung zur stationären Pflege noch gegeben ist.

    Vorteile der stambulanten Versorgung

    Das stambulante Modell wird in Fachkreisen als innovative Ergänzung der Pflegelandschaft angesehen, die mehrere Vorteile mit sich bringt:

    • Schließt eine Versorgungslücke: Es bietet eine passgenaue Lösung für Menschen, die zu viel Hilfe benötigen, um allein daheimzubleiben, aber (noch) nicht ins klassische Pflegeheim möchten.

    • Erhält Selbstbestimmung und Lebensqualität: Bewohner stambulanter Einrichtungen führen weitgehend einen eigenen Haushalt in Gemeinschaft. Statt passiver „Versorgung“ steht ein aktiv gestalteter Alltag im Vordergrund. Studien belegen eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität der Pflegebedürftigen im stambulanten Modell.

    • Entlastung und Einbindung der Angehörigen: Für pflegende Angehörige bringt stambulant eine Entlastung, ohne sie auszuschließen. Sie können weiterhin für ihre Lieben da sein und mitpflegen, statt nur Besucher zu sein. Dies nimmt vielen das schlechte Gewissen, den Vater oder die Mutter „ins Heim gegeben“ zu haben. Gleichzeitig bleibt die Hauptverantwortung bei Profis, sodass Angehörige nicht überfordert sind.

    • Hohe Versorgungssicherheit in kleiner Gemeinschaft: Durch die 24h-Präsenz von Fachkräften ist jederzeit Hilfe abrufbar. Trotzdem bleibt die Umgebung überschaubar und familiär (meist 10–15 Bewohner). Diese Kleinteiligkeit beugt Vereinsamung vor und ermöglicht individuellere Betreuung als in großen Heimen.

    • Flexible, bedarfsgerechte Leistungen: Stambulante Einrichtungen ermöglichen ein individuelles Leistungspaket. Pflegebedürftige können Leistungen frei wählen und anpassen. Dies erhöht die Wahlfreiheit und ermöglicht es, auf Veränderungen im Gesundheitszustand schnell zu reagieren.

    • Kostenvorteile und Effizienz: Ein zentrales Argument pro stambulant sind die geringeren Kosten im Vergleich zur stationären Unterbringung. Durch den effizienten Personaleinsatz, den Verzicht auf starre Pauschalen und die mögliche Mitarbeit von Angehörigen können Pflege- und Krankenkassen Geld sparen.

      Vor allem aber profitieren die Pflegebedürftigen finanziell: Ihr Eigenanteil an den Pflegekosten fällt deutlich niedriger aus als im Heim. Laut Betreiberangaben liegt die Ersparnis bei bis zu 1.000 € pro Monat im Vergleich zur klassischen Heimunterbringung (benevit.net).

     

    • Entgegenwirken des Fachkräftemangels: In stambulanten Hausgemeinschaften werden verstärkt Präsenzkräfte und Alltagsbegleiter eingesetzt, die von weniger, aber gezielt eingesetzten Pflegefachkräften angeleitet werden. Außerdem entlastet die Angehörige das Personal bei einfachen Tätigkeiten. Diese Arbeitsteilung ermöglicht, knappe Pflegefachpersonen effizienter einzusetzen. Die BeneVit-Gruppe berichtet, dass trotz geringerem Fachkräfteanteil die Pflegequalität gewährleistet und geprüft ist (benevit.net).

    • Hohe Akzeptanz und Zufriedenheit: In dem langjährigen Modellprojekt zeigte sich eine hohe Zufriedenheit bei allen Beteiligten. Die Bewohner:innen fühlen sich wohler als isoliert zu Hause; Angehörige sind dankbar für die Entlastung ohne den völligen Verlust der Einbindung.

    • Geringe Fluktuation: Die Mitarbeitenden erleben häufig ein positives Arbeitsklima. Berichten zufolge ist die Personalfluktuation in der Pilot-Einrichtung ungewöhnlich niedrig, da Pflegekräfte die Arbeitsbedingungen (abwechslungsreicher Alltag, enge Bindung zu Pflegebedürftigen) schätzen.

    Tipp für Pflegekräfte: Arbeiten in der Pflege-WG

    Wenn dich das stambulante Modell anspricht – mit mehr Selbstbestimmung, Nähe zu den Bewohnern und besseren Arbeitsbedingungen – lohnt sich ein Blick auf Pflege-Wohngemeinschaften. Auch wenn diese rechtlich bisher nicht als „stambulant“ gelten, orientieren sich viele Einrichtungen bereits heute an ähnlichen Prinzipien: kleine Teams, familiäre Atmosphäre, alltagsnahe Pflege.

    Auf Care Rockets findest du passende Stellenangebote in genau solchen Pflege-WGs. Einfach kostenlos anmelden und Arbeitgeber in der Pflege bewerben sich bei Dir.

    Herausforderungen und Kritik am stambulanten Modell

    Trotz der genannten Vorteile gibt es auch Herausforderungen, offene Fragen und Kritikpunkte im Zusammenhang mit der stambulanten Versorgung. Diese betreffen vor allem die rechtlich-administrative Umsetzung und mögliche praktische Risiken:

    • Fehlender gesetzlicher Rahmen (bislang): Bisher existiert die stambulante Versorgung nur im Rahmen von Modellprojekten. Die gesetzliche Verankerung in der Pflegeversicherung steht noch aus (siehe nächster Abschnitt). Ohne klaren Rechtsrahmen herrscht Planungsunsicherheit für Anbieter und Bewohner:innen. Das Haus Rheinaue lief jahrelang auf Sondergenehmigungen – ein Zustand, der für eine flächendeckende Umsetzung nicht tragbar ist.

    • Komplexe Finanzierung und Bürokratie: Gerade weil stambulant Leistungen aus verschiedenen Töpfen kombiniert, befürchten manche eine bürokratische Mehrbelastung. Verena Bentele (VdK) merkt an, man müsse abwarten, ob die Kosten in der Praxis tatsächlich geringer ausfallen. Anstelle eines pauschalen Heimbeitrags müsste eine Vielzahl einzelner Leistungen beantragt, nachgewiesen und abgerechnet werden (vdk.de). Diese bekannten Hürden müssten für stambulante Angebote dringend abgebaut werden, andernfalls droht ein „Bürokratiemonster“, das die gewünschte Entlastung teilweise wieder zunichtemachen könnte.

    • Abgrenzungsprobleme und „doppelter Aufwand“: Einige Experten kritisieren, die Schaffung eines neuen Sektors sei rückwärtsgewandt und könne zu Abgrenzungsproblemen führen (carevor9.de). Der Bremer Pflegeökonom Prof. Heinz Rothgang warnt, dass eine zusätzliche Versorgungsform die ohnehin schwierige Trennlinie zwischen ambulant und stationär nicht löst, sondern neue Konflikte schaffe.  Insbesondere bei der Vergütung von Leistungen dürfte es kompliziert werden. Rothgang sieht die Gefahr einer Flut von Rechtsstreitigkeiten zu solchen Fragen. Aus seiner Sicht wäre es besser, die Sektorengrenzen ganz aufzuheben, statt einen dritten Sektor einzuführen.

    • Qualität und Verantwortung: Die Idee, mit weniger Fachpersonal und mehr Hilfskräften sowie Angehörigen zu arbeiten, ruft bei Skeptikern Sorge vor Qualitätsverlust hervor. Zwar zeigen Evaluationsberichte aus Wyhl, dass die Pflegequalität hoch ist (altenheim.net). Dennoch müsste bei Ausweitung des Modells sichergestellt werden, dass klare Standards gelten und die Verantwortlichkeiten eindeutig geregelt sind.

    • Nicht für jeden geeignet: Auch wenn stambulant vieles verspricht, wird es nicht für alle Pflegebedürftigen die ideale Lösung sein. Menschen, die etwa Einzelgänger sind oder intensive medizinische Betreuung brauchen, fühlen sich womöglich in einer Gemeinschaft nicht wohl oder benötigen eher eine spezialisierte stationäre Umgebung.

    • Kein geeigneter Wohnraum vorhanden: Das stambulante Konzept setzt zudem voraus, dass einigermaßen geeignete Wohnräume zur Verfügung stehen. Sevetoslav Markov bemängelt im Podcast, dass viele Bestandsgebäude – etwa frühere Zechenhäuser – nicht barrierefrei sind und hohe Brandschutzauflagen einfache Umbauten oft unmöglich oder extrem kostspielig machen.

    • Setzt Mitwirkung der Angehörigen voraus: Außerdem hängt der Erfolg von der Mitwirkung der Angehörigen ab. Markov betont im Podcast, dass ohne familiäre Unterstützung Versorgungslücken entstehen können. Menschen ohne unterstützendes Umfeld oder mit geringerem Einkommen haben deutlich schlechtere Chancen, von stambulanten Modellen zu profitieren.

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    Konkrete Beispiele stambulanter Einrichtungen in Deutschland

    Wie sieht stambulante Pflege in der Realität aus? Ein Blick auf Pilotprojekte wie das Haus Rheinaue in Wyhl zeigt, was funktioniert und was sich daraus lernen lässt.

    BeneVit Haus Rheinaue in Wyhl – das Pilotprojekt

    Das Haus Rheinaue in Wyhl am Kaiserstuhl ist das erste stambulante Pflegeheim Deutschlands. Betrieben von der BeneVit-Gruppe, leben dort seit 2016 rund 56 pflegebedürftige Menschen in vier Hausgemeinschaften. Alle Pflegegrade sind vertreten, auch Menschen mit Demenz. Die Bewohner:innen gestalten ihren Alltag mit, Angehörige helfen auf Wunsch mit, Pflegefachkräfte sind immer vor Ort.

    Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung

    Das Modell wurde wissenschaftlich mehrfach begleitet. Die Studien belegen: Die Lebensqualität der Bewohner ist hoch, die Angehörigen sehr zufrieden. Die Mitarbeitenden erleben weniger Stress und berichten von einer starken Bindung zu den Bewohnern. Pflegebedürftige bleiben nachweislich länger aktiv, sozial eingebunden und erleben weniger Einsamkeit (Evaluation des Modells).

    Reaktionen aus Kommunen & Pflegeverbänden

    Ende 2021 veröffentlichten 34 Bürgermeister einen offenen Brief an die Bundesregierung, in dem sie eine bundesweite Umsetzung stambulanter Pflegeformen fordern. Auch Pflegeverbände wie der VdK oder der DEVAP begrüßen das Konzept, da es Lebensqualität, Kostenersparnis und Fachkräftesicherung vereint.

    Stambulante Pflege im Pflegekompetenzgesetz: Aktueller Stand & Perspektiven

    Politisch gewinnt das Modell an Fahrt. Mit dem Pflegekompetenzgesetz soll stambulante Pflege erstmals bundesweit rechtlich verankert werden.

    Gesetzgebung stockt: Stambulante Pflege bleibt Provisorium

    Derzeit (Stand 2025) ist die stambulante Versorgung bisher nicht als Regelleistung in der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) verankert. Das Pilotprojekt Haus Rheinaue in Baden-Württemberg lief ursprünglich unter § 45f SGB XI (Modellprogramme zur Weiterentwicklung der Pflege) und nach Auslaufen dieses Programms nur dank befristeter Ausnahmen weiter(altenheim.net)

    Bundesgesundheitsminister Lauterbach kündigte im Frühjahr 2024 an, die stambulante Versorgung gesetzlich zu ermöglichen. Als Teil des neuen Pflegekompetenzgesetzes sollte diese Versorgungsform noch vor Sommer 2024 auf den Weg gebracht werden. 

    Dieser Gesetzentwurf zielte darauf ab, einen dritten Sektor neben ambulant und stationär offiziell einzuführen, inklusive Definition der Leistungsansprüche und Zuständigkeiten. Allerdings hat sich die Umsetzung verzögert. Tatsächlich scheiterte die flächendeckende Einführung mit Scheitern der Regierung im Jahr 2024 zunächst.

    Zuletzt (Februar 2025) wies der Bundesrat den Gesetzesentwurf  zurück (bundesministerium.de). Somit liegt das Gesetz wieder beim Bundestag.

     

    Geplante gesetzliche Verankerung

    Laut Koalitionsvertrag der aktuellen Regierungsparteien soll generell geprüft werden, wie erfolgreiche Modellprojekte in die Regelversorgung überführt werden können. Die stambulante Pflege wird explizit als Beispiel genannt.
    Im Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes sind Regelungen vorgesehen, die genau dies leisten:

    So soll mit dem neu vorgesehenen § 45j SGB XI die stambulante Pflege als eigenständige Versorgungsform neben ambulant und stationär anerkannt werden (Landtag BW, Drucksache 17/7929). Pflegebedürftige in solchen Wohnformen sollen unabhängig vom Pflegegrad eine monatliche Pauschale von 450 € erhalten. Ergänzend sollen Leistungen aus dem bestehenden Leistungskatalog – z. B. Pflegesachleistungen, Verhinderungs- und Kurzzeitpflege oder häusliche Krankenpflege – individuell kombinierbar bleiben (Stiftung Patientenschutz, Stellungnahme PKG 2024).

    Allerdings wird der Pauschalbetrag von 450 € auch kritisiert (pkv.de): Er sei zu niedrig, um in allen Konstellationen eine stabile Versorgung zu sichern, insbesondere bei höheren Pflegegraden oder ohne familiäre Unterstützung. Zudem bestehe die Gefahr, dass Träger die Finanzierungslücke über private Zuzahlungen schließen müssen, was zu sozialer Ungleichheit führen könnte.

    Fazit: Für wen sich stambulant lohnt – und was jetzt wichtig ist

    Silvan Schroeren, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Geschäftsführer von Care Rockets, bringt es auf den Punkt: „Wenn wir die Zukunft der pflegerischen Versorgung im Alter in Deutschland sichern möchten, müssen wir auf Basis der Bedürfnisse der Betroffenen neue, bezahlbare Versorgungsmodelle in den Fokus rücken – und dabei gleichzeitig die großen Träger in die Pflicht nehmen, diese Innovationen mitzugestalten.

    Stambulante Pflege steht kurz vor dem Sprung in die Regelversorgung. Die Verbindung aus ambulantem Alltag und stationärer Sicherheit überzeugt in Praxis und Politik. Entscheidend ist jetzt ein klarer Rechtsrahmen mit stabiler Finanzierung – ohne das Konzept zu verwässern. Für Pflegebedürftige bedeutet stambulant mehr Selbstbestimmung und Geborgenheit. Für Pflegekräfte und Träger schafft es ein modernes, attraktives Arbeitsumfeld mit Zukunft.

    Autor:in
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    Denise Ni

    SEO-Managerin, Care Rockets GmbH

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    Denise Ni ist SEO-Managerin bei Care Rockets und bringt neben ihrer Expertise in der Content-Erstellung auch praktische Pflegeerfahrung aus fünf Jahren im Seniorenheim mit.

     

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